top of page
AutorenbildJessica Wiedler

Kastration bei Rüden – Unten ohne – Kein Allheilmittel für Verhaltensprobleme!


Kastrierte Hunde sind friedlich, aber werden faul und dick.“ Solche Klischees sind weit verbreitet.


Durch eine Kastration wird lediglich jenes Verhalten geändert, das mit den Geschlechtshormonen in Verbindung steht, erlerntes Verhalten jedoch nicht!

Das bedeutet: Aggressivität eines Rüden gegen andere Artgenossen kann sich durch eine Kastration zwar ändern – muss es aber nicht!


Konkret: Ein Rüde mit Erziehungsdefiziten, territorialer Aggression oder Futterneid wird auch nach einer Kastration weiterhin Probleme verursachen.


Hat er durch den Geschlechtstrieb motivierte Aggressionen gegen andere Rüden gezeigt, können sie sich abschwächen. Hat sich jedoch bei ihm das vom Geschlechtstrieb ausgelöste Verhalten verfestigt kann dies ganz anders aussehen.

Ein weiteres Dilemma der Kastration ist bei den Rüden der Wegfall des angstlösenden Testosterons. Oder anders formuliert; Testosteron macht selbstbewusst und ist der hormonelle Gegenspieler des Stresshormons Cortisol. So zeigen sich insbesondere unsichere und ängstliche Rüden hinterher oft noch angstaggressiver als vorher. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass sich das durch das Cortisol gesteuerte angstaggressive Verhalten verschlimmern kann.

Auch wenn der Testosteronspiegel einen bedeutenden Einfluss auf das Verhalten eines Rüden hat, sind Wesen und Verhalten nur bedingt von den Geschlechtshormonen beeinflusst. Es ist ein Mythos, dass die Kastration einen wilden Rüden vorher ins sanfte Gegenteil nachher verwandelt. Halter sollten sich bewusst sein, dass der Eingriff keinen Einfluss auf erziehungsbedingten Ungehorsam, Schutzverhalten, Rangordnungs- oder Angstprobleme hat. Bei vielen Kastraten verschwinden jedoch die trieb-bedingte Frustration, der Markierungsdrang und das Umherstreunen.


Eine Kastration ist immer ein operativer Eingriff mit Narkose und einer für den Hund unangenehmen Genesungszeit. Sie greift in den natürlichen Hormonhaushalt des Körpers ein. Dadurch verändert sich der Stoffwechsel. Dies kann soweit gehen, dass ein kastrierter Hund schneller zunimmt und Verhaltensänderungen zeigt, indem er träge wird und schneller ermüdet. Möglicherweise verändert sich das kastriert werden, im Vergleich zu später kastrierten Vierläufern eine geringere Neigung zu Übergewicht zu haben.


Eine zu frühe Kastration birgt aber auch Nachteile.

Die sogenannte Frühkastration, also der gesamte Zeitraum vor dem Abklingen der Pubertät hat immer zur Folge, dass die Hündin oder der Rüde aufgrund des Wegfalls der Hormone ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung beraubt wird. So findet der gesamte Umbau im Gehirn, der sich in der Pubertät vollzieht, abgeschwächt oder überhaupt nicht statt. Die Hunde bleiben sozusagen in ihrem „frühkindlichen“ Entwicklungsstadium stecken. Frühkastraten sind erfahrungsgemäß chaotisch, unsichere Kindsköpfe, deren geistige Leistungsfähigkeit nicht voll ausgereift ist. Ebenso eingeschränkt ist das generalisierte Lernen.


Operative Kastration:

Der Begriff Kastration bezeichnet die Ausschaltung der Samenproduktion des Rüden, der dadurch unfruchtbar wird. Dies kann operativ oder chemisch erfolgen.

Bei der operativen Kastration werden die Hoden chirurgisch entfernt. Hierdurch wird der Rüde irreversibel unfruchtbar und verliert seinen Sexualtrieb. Im Gegensatz dazu werden bei einer Sterilisation nur die Samenleiter durchtrennt, d. h. der Sexualtrieb bleibt erhalten, der Rüde kann eine Hündin jedoch nicht mehr befruchten. Nach einer Sterilisation können die Samenleiter allerdings in seltenen Fällen wieder zusammenwachsen, daher wird diese Methode beim Hund selten angewendet.

Die operative Kastration des Rüden erfolgt unter Vollnarkose. Zunächst wird der Operationsbereich rasiert und gesäubert. Dann wird ein Schnitt vor dem Hodensack gesetzt, die Samenleiter und Gefäße abgebunden und die Hoden entfernt. Anschließend wird die Schnittwunde vernäht. Die Kastration des Rüden ist nach der OP irreversibel. Wenn bei entsprechender medizinischer Indikation nur ein Hoden entfernt werden muss, dann verbleibt ein funktionsfähiger Hoden. Der Rüde ist in dem Fall nicht kastriert und bleibt auch mit einem Hoden zeugungsfähig.


Chemische Kastration:

Bei dieser Variante wird dem Rüden mit einer Kanüle ein Implantat unter die Nackenhaut eingesetzt – ähnlich dem Mikrochip zur Kennzeichnung. Das geht sehr schnell, tut nicht weh und erfordert keine Narkose. Der Chip enthält Deslorelin.

Dieser ähnelt einem körpereigenen Hormon (GnRH) und besetzt die hierfür vorgesehenen Rezeptoren an der Hypophyse (Drüse im Gehirn) des Rüden. In den ersten 6 Wochen nach Einsetzen des Chips steigt dadurch die Testosteron-Konzentration im Blut zunächst an. Danach werden die GnRH-Rezeptoren runterreguliert, was den Abfall des Testosteron-Spiegels bewirkt. Dies führt letztendlich dazu, dass die Hoden die Produktion der Geschlechtshormone einstellen, schrumpfen und keine neuen Spermien mehr bilden. Der Umstellungsprozess bis der Rüde vollständig zeugungsunfähig ist dauert ca. 6-8 Wochen. Sichtbar wird der Effekt dadurch, dass die Hoden klein und weich werden. Wenn das Deslorelin nach 6 bzw. 12 Monaten komplett abgebaut ist, kann die körpereigene Bildung von Testosteron wieder stattfinden und die Wirkung lässt nach. Bei den Zeitangaben handelt es sich um Richtwerte, die tatsächliche Wirkungsdauer der Hormonimplantate ist von Hund zu Hund verschieden.


Der Vorteil: Die Wirkung ist nur vorübergehend, und ein Hundeführer kann testen, ob unerwünschte Verhaltensweisen seines Hundes hormonell bedingt sind und durch eine Kastration verschwinden würden. Außerdem bietet sich der Chip für ältere oder herzkranke Vierläufer an, bei denen eine Operation unter Narkose nicht mehr infrage kommt. Nach circa sechs Monaten ist der Wirkstoff verbraucht und die Hoden nehmen die Testosteron- und Spermienproduktion wieder auf. Studien zufolge hat sich nach einem weiteren halben Jahr der Testosteronspiegel bei 80 Prozent der Hunde wieder normalisiert.


Bei Hunden mit einem Körpergewicht von weniger als zehn Kilo hält die Wirkung länger an. Ob Rüden zu 100 Prozent wieder zeugungsfähig werden, ist bisher nicht untersucht. Bei Zuchtrüden sollte der Chip deshalb besser nicht angewendet werden. Ebenso sollte er nicht gleichzeitig mit einer Impfung implantiert werden und auch nicht bei Kryptorchismus, Hoden- und Prostatatumoren sowie Perianalhernien.


Wann sollte man Kastrieren?

Prinzipiell kann die Kastration des Rüden in jedem Alter erfolgen, aber möglichst nicht vor dem Schluss der Wachstumsfugen. Die meisten Tierärzte raten daher, mit der Kastration mindestens zu warten, bis das Knochenwachstum vollständig abgeschlossen ist. Beim älteren Hund wiederum steigt das Risiko für Gelenk- und Knochenerkrankungen nach der Kastration des Rüden im Alter.

Der optimale Zeitpunkt der Kastration richtet sich aber letztlich nach den individuellen Gründen für die Kastration und sollte dementsprechend gemeinsam mit dem behandelnden Tierarzt bestimmt werden.

Gleiches gilt für die chemische Kastration.

Die Gründe für die Kastration des Rüden sind von Fall zu Fall verschieden und müssen vorab gemeinsam mit dem behandelnden Tierarzt besprochen werden.

Dabei muss sorgfältig abgewogen werden, ob die Kastration sinnvoll und gerechtfertigt ist.

Beispiele für zwingende Gründe für die operative Kastration sind bösartige Hodentumore, Entzündungen oder Verdrehungen des Hodens, Hodenhochstand (Kryptorchismus) oder manche Erkrankungen der Prostata. Auch Verletzungen oder Brüche im Leistenspalt können die Kastration notwendig machen.


Als Hundetrainerin empfehle ich:

Erst das Verhalten des Rüden zu analysieren und mit einem Training zu starten, denn wie oben festgestellt, sind die meisten Verhaltensprobleme nicht mit einer Kastration zu vermindern.


Meine persönliche Erfahrung war, dass ein Rüde der unsicher und Angstaggressiv ist, mit einer chemischen Kastration dieses destruktive Verhalten noch stärker gezeigt hat, und ohne konnte man mit ihm gut arbeiten und am Verhalten einiges ins positive verändern.


Kann man dem Hund jedoch den Stress im Umgang mit Hündinnen nehmen, z. B. im gleichen Haushalt oder Nachbarschaft, oder man richtet sich nach der Gesundheit des Hundes, dann ist eine Kastration sinnvoll.




22 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page